Ralf Gruber - systemisch agil
 

Nutzung von unterschiedlichen Werten im Team - das Wertequadrat

In jedem Team gibt es unterschiedliche Persönlichkeit, Kenntnisse, Perspektiven usw. Das kann entweder zu langen ergebnislosen Diskussionen und Streit führen oder aber auch ermöglichen, dass das Team in der Summe mehr erreichen kann, als es den einzelnen Teilnehmern alleine möglich wäre. Das ganze Team ist dann mehr als die Summe seiner Teile. Genauso wie in einem guten Orchester unterschiedliche Instrumente spielen, die aber alle abgestimmt zu einem gemeinsamen Werk beitragen. Dies entsteht nicht von alleine sondern bedarf an manchen Stellen der Unterstützung. Das Wertequadrat hat sich hier als sehr hilfreich erwiesen.

Das Wertequadrat ist ein Schema, mit dessen Hilfe gegensätzliche (bzw. sich ergänzende) Werte in einem guten Sinne ausbalanciert werden können. In Organisationen gibt es oft typische Spannungen z.B. zwischen Vertrauen und Kontrolle oder zwischen Selbstorganisation und Verantwortung des Vorgesetzen. Typisch an diesen Spannungen ist, dass sie sich nicht abschließend oder objektiv klären lassen, sondern für jeden Fall eine Einzelfallentscheidung erfordern. Jede Seite hat gute und berechtigte Argumente (z.B. Fälle in denen Vertrauen hilfreich war und genauso aber auch Fälle in denen Kontrolle erforderlich war) Diese Spannung lässt sich also nicht abschließend in die eine oder andere Richtung entscheiden. Im Gegenteil, erst durch das Aufrechterhalten der Spannung entsteht eine ausbalancierte Lösung. Wird z.B. eine Seite wie Vertrauen überbetont (z.B. keinerlei Leistungskontrolle) gibt es bestimmt Fälle in der das missbraucht wird), es führt zu einer ungesunden "Blauäugigkeit". Wird hingegen die Seite der Kontrolle übertrieben, dann wird sehr viel Zeit mit Kontrollprozessen verbracht, wodurch Ineffizienzen entstehen, es entsteht ein "erstarrtes System". Der Königsweg ist also die Balance zwischen den beiden Werten Vertrauen und Kontrolle, was in folgendem Wertequadratschema dargestellt wird. Dieses konstruktive ausbalancieren ermöglicht eine flexible, situationsangepasste Reaktion und verhindert, dass die negativen Übertreibungen (Blauäugigkeit bzw. erstarrtes System) zur Geltung kommen.















Dieses grundlegende Schema kann natürlich auch auf weitere Wertepaare angewendet werden. Zuerst werden dazu zwei positive Werte definiert, die nicht beide gleichzeitig erfüllt werden können, d.h. die also in einem gewissen Widerspruch oder einer Spannung stehen und für die ein Abwägen erforderlich ist (z.B. Selbstorganisation versus Verantwortung der Führungskraft). Es gibt keine objektiv richtige Antwort darauf, wie zwischen diesen beiden Polen entschieden werden soll. Es handelt sich also um mit Heinz von Foerster zu sprechen um eine unentscheidbare Frage, die nicht nach objektiven Kriterien entschieden werden kann. Genau deshalb müssen diese subjektiv jedes Mal aufs Neue entschieden werden. Eine Schwierigkeit bei dieser Entscheidung ist dabei, dass es selbst nach subjektiven Maßstäben keine „richtige“ Entscheidung gibt, weil beide sich widersprechende Werte subjektiv als wichtig erachtet werden. Es kann somit auch keine allgemeine Entscheidung getroffen werden, sondern in jedem Einzelfall ist eine erneute Abwägung - ein permanentes Ausbalancieren - erforderlich. Im Folgenden das Schema für die beiden Werte Selbstorganisation und Verantwortung der Führungskraft inklusive der jeweils negativen Übertreibungen, die entstehen, wenn eine Seite einseitig überbetont wird (Handlungsunfähigkeit weil alles ewig diskutiert wird versus Micromanagment)















Um diesen Balanceprozess zu unterstützen können sogar die – auf den ersten Blick vielleicht nicht als nützlich erkennbaren - Übertreibungen der jeweiligen Werte hilfreich sein. Die Übertreibung von Selbstorganisation könnte z.B. Handlungsunfähigkeit durch endlose Diskussionen sein. Wenn die Führungskraft für alles verantwortlich ist und Micromanagement betreibt entsteht hingegen ein unselbständiges Team. Die Bezeichnungen der Werte und jeweiligen Übertreibungen werden auch vom Klienten gewählt; zu jedem Wert lassen sich eine Vielzahl von möglichen Übertreibungen finden. Der Nutzen dieser Übertreibungen liegt jetzt in der Möglichkeit mit Ihrer Hilfe diese Wertespannung auszubalancieren. In einem System, in dem jede kleine Verfehlung sofort hart bestraft wird kann z.B. eine kurzfristige Blauäugigkeit (oder ein Auge zudrücken) durchaus für eine gute Balance sorgen. Genauso kann die Übertreibung „Micromanagement“ kurzfristig hilfreich für eine Situation sein, in der sich keiner mehr an Regeln hält oder Mitarbeiter auf Kosten anderer ihre Freiheit ausnutzen.
Dieses Schema lässt sich wie oben beschrieben für Werte nutzen - es ist aber genauso nutzbar für Organisationseinheiten mit verschiedenen Zielsetzungen, z.B. Fertigung, in der jede Änderung mit Kosten verbunden ist und Produktentwicklung, die kontinuierlich Produktverbesserungen anstrebt.

Über den Prozess des Ausbalancierens entsteht eine gesunde Balance und Spannung, die es ermöglicht, für jede Situation angemessen zu reagieren. Über die Arbeit mit dem Schema kann anstelle unproduktiver wechselseitiger Vorwürfe eine übergreifende und wertschätzende Perspektive entwickelt werden - und basierend darauf situationsadequate gute Entscheidungen getroffen werden.