Ralf Gruber - systemisch agil
 

Gute Führung ist konstextabhängig - Nutzung des Cynefin Framework


Was macht gute Führung aus?

Auf diese Frage gibt es viele und zum Teil sehr widersprüchliche Aussagen. Letztendlich kann diese Frage nicht ohne Berücksichtigung des Kontextes, also des Umfeldes in dem geführt wird, beantwortet werden. Klar strukturierte sich wiederholende Aufgaben, wie z.B. das Auslieferen von Paketen brauchen andere Führungsstrukturen als innovative Start-ups mit hochqualifizierten Wissensarbeitern. Aber auch innerhalb desselben Aufgabenbereiches können sich die Anforderungen an Führung verändern. Die Automobilbranche war beispielsweise jahrzehntelang geprägt von einem relativ stabilen Umfeld, erst in den letzten Jahren gab es hier massive Disruptionen durch Elektromobilität und neuen Marktteilnehmern. Damit ändert sich auch die Anforderungen an gute Führung.

Das Cynefin Modell bietet hier eine gute Landkarte, um diese unterschiedlichen Anforderungen zu strukturieren - als generelle Landkarte aber auch speziell für Führungsfragen. Dabei geht es nicht mehr darum, dass es eine einzige beste Art der Führung gibt, vielmehr ist die entscheidene Frage, ob der praktizierte Führungsstil in dem gegebenen Umfeld zielführend ist, oder nicht.

Das Cynefin Frameworkl besteht aus 4 Quadranten, für jeden Quadranten sind verschiedene Vorgehensweisen am passendsten.


Einfach, offensichtlich, stabiles Umfeld z.B. sich wiederholende Tätigkeit, die in ähnlicher Weise von vielen Mitarbeitern ausgeführt werden. Es gibt best practices über welche Vorgehensweisen richtig und falsch sind, die Mitarbeiter sollen dies auch nach den Vorgaben durchführen. Hier ist es hilfreich, wenn die Führungskraft eine hohe  fachliche Kompetenz  hat und am meisten Wissen und Erfahrung hat. Sie kann dann anleiten, wie Dinge am besten zu tun sind und dafür sorgen, dass alles richtig gemacht wird. Dabei nimmt sie die aktuelle Situation wahr, bewertet sie aufgrund der eigenen Erfahrung und handelt basierend auf diesem Wissen

Kompliziertes Umfeld, z.B. eine SAP Einführung, die Spezialisten mit einem hohen Fachwissen erfordern. Hier kann es oft unklar sein, was best practice ist, weil Experten verschiedene Ansätze verfolgen, die jeweils Vor- und Nachteile habe.  Daher gibt es oft unterschiedliche good practices. Die Führungskraft kann fachlich hier nicht mehr alle Details verstehen; hilfreich ist es dennoch, wenn sie die fachlichen Zusammenhänge kennt und Expertenmeinungen kritisch hinterfragen kann. Die Führungskraft muss also die aktuelle Situation wahrnehmen, komplizierte Fragestellungen und Entscheidungen analysieren und basierend auf der eigenen Analyse und Expertenwissen Maßnahmen ergreifen.

Komplexes Umfeld, z.B. Entwicklung eines innovativen neuen Produktes. Hier gibt es keine klaren Ursache-Wirkung Zusammenhänge mehr. Der Erfolg eines neuen Produktes ist nicht vorausberechenbar auch wenn es Heuristiken und Erfahrungen aus der Vergangenheit gibt. Erst beim Gehen des Weges kann neues Wissen über die Spielregeln des neuen Marktes gewonnen werden; es ist also hier sehr wichtig, früh Erfahrungen zu sammeln, z.B. über Prototypen, Experimente, etc. Es gibt sogenannte emergent practices, die im Verlauf durch schnelle Feedback loops gefunden werden können. Dieses Vorgehen ist typisch für agile Ansätze, lean start-up etc.  Die Vorgehensweise ist also Experimentieren/Erfahrungen sammeln, diese dann auswerten und entsprechend zu reagieren.
Die Führungskraft kennt die Wirkzusammenhänge des neuen Marktes nicht und kann auch nicht alles Wissen selbst erwerben. Entscheidend ist deshalb, dass jedes Teammitglied Eigenverantwortung übernimmt und die verschiedenen Kompetenzen des Teams optimal genutzt werden. Die Rolle der Führungskraft ist eher die eines Dienstleisters für das Team, die dafür sorgt, dass gut zusammengearbeitet werden kann (servant leadership). Sie kann auch die strategische Richtung vorgeben und Leitplanken definieren

Disruptives Umfeld, z.B. aktuelle Situation mit Covid-19. Hier gibt es kein Erfahrungswissen aus der Vergangenheit, weil es keine vergleichbaren Erfahrungen und Situationen gab und sich Spielregeln und Muster extrem stark verändern.  Selbst die Durchführung von Experimenten um Erfahrung zu sammeln ist aus Zeitgründen oder auch aufgrund der extremen Unsicherheit nicht möglich. Es entstehen komplett novel practices, die Gefahr des Scheiterns ist groß. Als Führungskraft geht es in dieser extremen Situation auch darum, gut mit den Belastungen umzugehen und Zuversicht auszustrahlen ohne diese durch Erfahrungen der Vergangenheit begründen zu können. Auch die Bereitschaft radikal mit alten Mustern zu brechen und sich auf eine vollkommen andere Situation einzulassen erfordert viel Resilienz von Führungskraft und Mitarbeitern.

Die Frage nach guter Führung muss also den jeweiligen Kontext berücksichtigen; abhängig davon spielen fachliches Wissen, analytisches Kompetenz oder das empowerment des Teams eine unterschiedliche Rolle.