“What gets us into trouble is not what we don't know. It's what we know for sure that just ain't so.”
Mark Twain
Seit vielen Jahrzehnten wird über Kundenzentrierung geredet - schaut man aber genauer hin heißt das in der Praxis, dass verschiedene Personen oder Abteilungen für sich in Anspruch nehmen, schon genau zu wissen, was der Kunde will. Auch wenn in vielen Fällen durchaus viel Wissen über den Kunden und den Markt vorhanden ist - letztendlich entscheidet der Kunden über Erfolg und Misserfolg, oft auch ganz überraschend für die Beteiligten. Was kann man also tun, um solche unliebsamen Überraschung zu vermeiden?
Seit dem großen Erfolg des Buches "Lean Startup" von Eric Ries sind die Begriffe Lean und Minumum Viable Product (MVP) ein fester Begriff in der agilen Welt.
Der zentrale Ansatz von lean ist die Vermeidung von "waste" also nicht wertschöpfenden Tätigkeiten. Dies wurde ursprünglich im Produktionsbereich für nicht wertschöpfende Tätigkeiten verwendet, die reduziert werden sollten. Ries hat dieses Konzept für startups übertragen - und die größte Verschwendung ist die Entwicklung eines Produktes, für das es keinen Markt/keine Kunden gibt.
Natürlich liegt es in der Natur von Innovationen, dass vorab nicht klar ist, ob das Produkt realisierbar ist und ein Erfolg beim Kunden erzielen wird. Das Konzept des Minimum Viable Products bietet jedoch einen Ansatz, um mit diesem Risiko umzugehen. Eine Möglichkeit wäre z.B. ein Produkt mit einer einfachen Grundfunktionalität schnell auf den Markt zu bringen (oder zumindest Kundenfeedback einzuholen) um schnell überprüfen zu können, wie die Kunden darauf reagieren. Basierend auf diesem Feedback werden weitere features des Produktes entwickelt. Allgemeiner ausgedrückt geht es immer um eine schnelle Überprüfung von Hypothesen, um zu vermeiden, dass in eine falsche Richtung entwickelt wird und dadurch Ressourcen verschwendet werden. Die Kernfrage ist, wie man mit dem kleinstmöglichsten Aufwand die größten Risiken früh erruieren kann. Diese können technischer Natur sein oder eben auch die Marktakzeptanz. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass marktfertige Produkte zum Sammeln von Feedback benötigt werden. Es können auch z.B. einfache Kartonprototypen sein, oder Bildschirm mockups, die einem potentiellen Kunden an die Hand gegeben werden.
Auch design thinking liefert ein stringentes Vorgehensmodell in diesem Bereich.
Durch ethnographisches Forschung (also die Beobachtung des Kunden in seiner "normalen" Umgebung) kann realistisches Feedback gesammelt werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es oft überraschend ist, wie echte Kunden (mit ganz unterschiedlichen IT skills, Hintergründen, etc) mit den Mockup eines neuen Programmes umgehen.
Genauso hilfreich ist es, kritische technische Fragen frühzeitig zu verifizieren, indem z.B. ein stark vereinfachter end-to-end Prozess implementiert wird, um zu verifizieren, dass kritische Komponenten technisch realisiert werden können.
Im Kern geht es also immer um die frühzeitige Verifzierungen von Hypothesen in der Realität, um ein konsequentes de-risking. Entscheidend ist dabei immer "outcome" und nicht "output", d.h. es geht nicht darum, einfach nur möglichst viel Funktionalität zu entwickeln (viel output), sondern darum, ob der Kunde das Produkt nutzt, ob es für ihn einen positiven Unterschied macht und ob Kundennutzen generiert wird (outcome)
Diese Konzepte und Ansätze sind mittlerweile weit verbreitet, auch das Vokabular "lean" und "MVP" hat weitgehend Einzug in die Konzerne gefunden. Die Gretchenfrage ist aber oft, ob dies auch entsprechend gelebt wird. Was passiert, wenn Mitarbeiter in Customer Clinics herausgefunden haben, dass Feature A sehr gut beim Kunden ankommt und Feature B keinen Mehrwert stiftet? Und es sich gleichtzeitig bei Feature B aber um ein Lieblingsprojekt des höchsten Managers handelt?
Was passiert wenn das Team sich in ein Feature "verliebt" hat, der Kunde das aber nicht nutzt? Was passiert wenn Features nicht verständlich sind? Werden dann viele Marketing- und Erklärungsvideos produziert, damit "es der Kunde endlich begreift"?
Oder ist man bereit, Entscheidung wirklich auf gemessenem Kundenfeedback zu basieren unabhängig von hierarchischen oder persönlichen Präferenzen? An dieser Frage trennt sich die Spreu vom Weizen und es lohnt sich, diese Entscheidungsprozesse genau unter die Lupe zu nehmen, damit Kundenzentrierung nicht nur ein buzz word bleibt, sondern auch tatsächlich zu höherer Kundenzufriedenheit führt.